DIE ÄLTESTEN WEGE IN DER HINTEREN SÄCHSISCHEN SCHWEIZ

Hermann Lemme

Wenn man erfährt, daß sich in den grenznahen Gebieten der Sächsischen Schweiz das Raubwild bis weit in die Neuzeit erhalten hat, daß man in dem 1642 im Großen Zschand errichteten Zeughaus außer den Stellnetzen und Tuchlappen für die "Hirschfeist" noch immer die Wolfsspieße, Saufedern und Transportkästen für die in Bärenfängen und Wolfsgruben erbeuteten Tiere aufbewahrte, daß im einsamen Ziegengrunde hinter dem Raumberg erst 1743 der letzte Luchs zur Strecke gebracht worden ist; wenn man berücksichtigt, daß im 15. Jahrhundert von ihren "Raubschlössern" aus die heruntergekommenen Feudalherren als Reaktionäre ihrer Zeit die Umgebung unsicher machten und daß auch nach dem Übergang in sächsischen Besitz böhmische Landplacker ihre Gefangenen in den Felshöhlen peinigten, möchte man meinen, dieses Gebiet sei jahrhundertelang eine weg-und pfadlose, von den Menschen gemiedene Urwaldwüstenei gewesen.

Doch dies ist keineswegs der Fall. Von einem undurchdringlichen Urwald konnte seit Ende des 16. Jahrhunderts überhaupt nicht mehr die Rede sein. Raubbau und Mißwirtschaft hatten sich einander die Hand gereicht, um den ehemals dichten Waldmantel von Grund aus zu verwüsten. Und gerade die spätmittelalterlichen Burgstätten hatten es mit sich gebracht, daß auch in der einsamen Felsenlandschaft vielbegangene Steige entstanden, die noch immer deutlich vorhanden waren, als um das Jahr 1600 der Markscheider Matthias Oeder im Auftrage seines Kurfürsten die erste Landesaufnahme Sachsens schuf. Sogar heute ist es möglich, den Spuren dieser ältesten Wege nachzugehen, und man wird mit Verwunderung feststellen, daß diese zum großen Teil noch immer gern benutzt werden.

Als Mittelpunkt einer ausgedehnten böhmischen Feudalherrschaft, die zwei Städte und 18 Dörfer mit 233 zinspflichtigen Männern umfaßte, stand im 15. Jahrhundert auf einem Felsmassiv über dem mittleren Kirnitzschtale auf die Dauer von 42 Jahren das "slos Wildenstein", dessen Überbleibsel heute dem Wanderer nur noch in Gestalt von durch Menschenhand erweiterten natürlichen Felsgemächern, in geringfügigen Mauerresten, vor allem aber in ungezählten Pfostenrinnen und Balkenlöchern, die auf Holztüren, Palisaden, gedeckte Gänge, Fallgitter und sonstige Verhaue hindeuten, entgegentreten. Es war damals eine Zeit schwersten Ringens der Markgrafen von Meißen mit den böhmischen Lehnsmännern um die Vorherrschaft, wobei die trutzige Bergveste dreimal durch Dresdner Schützen und Stadtknechte erobert werden mußte. Aber auch den eigenen Standesgenossen, die im Tetschener Eibtal saßen, konnte das fehdelustige Geschlecht der Berken von der Duba nicht immer Vertrauen schenken, wenngleich sie oftmals gemeinsam ihre Raubzüge in das linkseibische, bereits zu Sachsen gehörende Gebiet der Sächsischen Schweiz oder auch nach den Handelswegen der Lausitzer Sechsstädte unternahmen. So sind denn all die kleinen Raubnester in der Umgebung, Falkenstein, Frienstein, Rauschenstein, Lorenzsteine, Arnstein, Heulenberg und Raumberg, als Sperrforts und Signalvesten der Wildensteiner Herren aufzufassen, die gerade gegen diese südlichen Nachbarn gerichtet waren. Wenn manche dieser Befestigungsanlagen, von denen aus man sich durch Signalfeuer mit dem Herrensitz verständigte, sicher auch nur im Ernstfall bewohnt waren, so machte sich doch die Schaffung von Schleichpfaden und Verbindungswegen notwendig, in denen wir nun gerade die allerersten Steiganlagen unseres Wandergebiets erkennen können.

Um die am weitesten nach Westen vorgeschobene Stellung, den Falkenstein, der auf den der Nordseite vorgelagerten Felsklippen ein bescheidenes Blockhaus, einen Laufgang und einen von Palisaden umschlossenen Wirtschaftshof besaß, während die große Stufenreihe am Turnerweg auf einen Beobachtungsstand auf dem Gipfel hinweist,, zu erreichen, benutzten die berittenen Knechte der Feudalherren und ausgesandten Boten einen sich um das Massiv der Affensteine herumwindenden Weg, der heute noch als Vorderer Haideweg bekannt ist, vom Dietrichsgrund abzweigt und am Bloßstock, an der Brosinnadel sowie am Wilden Kopf vorüberführt. Nordöstlich unterhalb des Bloßstocks findet der aufmerksame Beobachter sogar noch einen fast vollständig verwachsenen und verrollten Hohlweg, der die heutige, in großer Kurve angelegte Wegführung verkürzen half. Was die Menschen des 15. Jahrhunderts beim Anblick der herrlichen Pelsszenerie, die heute jedes Bergsteigerherz höher schlagen läßt, gedacht haben mögen, können wir nicht mehr ergründen. Vermutlich war ihnen bei ihrem anstrengenden Ritt ein frischer Trunk aus munterem Waldquell bedeutend wichtiger, und weil ihnen das "leuse börnichen" (von slaw. luza = Sumpf) im obersten Abschnitt des Hinteren Bösen Grabens, den ihr Weg querte, vielleicht schon damals nicht recht munden wollte, scheuten sie sich nicht, schon gleich hinter der Eulentilke steil hinab in den Nassen Grund zu steigen, um dann an "günders börnichen" eine um so wohligere Labung für Mann und Roß zu finden. Günthers Börnel, das dei Schichtenneigung des Sandsteins im Bereich der Hohen Liebe sein Entstehen verdankt, ist ja noch heute als wohlschmeckender schwacher Eisensäuerling, also als richtige Mineralquelle, im Schrammsteingebiet, in dem im Sommer 15 qkm ohne jedes fließende Wasser sind, von besonderer Bedeutung. Von hier aus erreichte man vor 500 Jahren auf einem heute weniger begangenen Wege, der nördlich des Wenzelweges die Abhänge der Hohen Liebe durchquert, den nahen Falkenstein. Noch einmal bot sich Gelegenheit zum Rasten und Trinken beim "börnichen am Scheideweg", das heute zwar noch auf den Karten als Scheiden-börnel eingetragen ist, aber fast vollständig versiegte. Einst war es der Quell, der auch die kleine Besatzung der Burgwarte mit Wasser versorgte.

In Anbetracht der Tatsache, daß das nahe Postelwitz bis zur endgültigen Grenzbereinigung zwischen Sachsen und Böhmen für die Wildensteiner Herrschaft der Elbumschlageplatz war, bei dem die auf dem Wasserwege angekommenen Güter, in der Hauptsache Getreide, Wein, Malz und Bier, ausgeladen und auf dem Landwege weitergeführt wurden, für welchen Zweck es zu den Verpflichtungen einiger Orte gehörte, einen "Eibwagen" zu stellen, d. h. Fronfuhren nach und von der Elbe zu leisten, ist es durchaus möglich, daß auch damals schon über den Falkenstein hinaus, im Zuge des Wenzelweges und des Zahnsgrundes, eine Verbindung zum Eibstrom bestand. So wird auch verständlich, wenn man erfährt, daß es bei den Frondiensten der Postelwitzer damals hieß, "den Zahnweg helfen sie machen und erhalten". Wenn dagegen in der Heimatliteratur seit Jahrzehnten immer wieder von einer mittelalterlichen Handelsstraße die Rede ist, die angeblich von Postelwitz durch das Schrammstein- und Affensteingebiet nach dem Großen Zschand führte und auf welcher Frachtgüter bis ins böhmische Niederland, d. h. der Umgebung von Rumburg und Schluckenau, sowie bis zur Oberlausitz gegangen sein sollen, so ist dies mit aller Deutlichkeit abzulehnen. Die Wege, die sich um das Schrammstein- und Affensteinmassiv schlängeln, sind viel zu sandig, und das Gelände im Gebiet des Großen Zschand viel zu sumpfig, als daß ein geregelter Fahrverkehr für die schwerbeladenen Planwagen in Frage gekommen wäre. Außerdem lag nicht die geringste Veranlassung vor, durch solch ein wilde und unsichere Felsenlandschaft zu reisen, da seit Menschengedenken in unmittelbarer Nähe die Hohe Straße bestand, die von Schandau aus, das gleichfalls ein Umschlageplatz gewesen ist, über die Wasserscheide zwischen Sebnitz- und Kirnitzsch-tal zu den obengenannten Zielen führte und die bis ins 19. Jahrhundert ununterbrochen einen starken Frachtverkehr gesehen hat. Was aber den Gütertransport gerade für den Herrensitz Wildenstein anbelangte, so gab es in Lichtenhain einen von der Hohen Straße abzweigenden Fahrweg, der vom Dorfbach aus hinüberwechselte zum Knechtsbachtal, bei der Lich-tenhainer Mühle die Kirnitzsch überschritt und an den Abhängen des Hausberges entlang, hier noch heute als "Alte Straße" bezeichnet, sich zum Wildenstein emporwand. Es ist höchstens denkbar, daß in den letzten Jahren vor Beendigung der Grenzstreitigkeiten, als, zusammen mit der benachbarten Herrschaft Hohnstein, auch das Eibstädtchen Schandau und damit der Zugang zur Hohen Straße bereits in sächsischem Besitz waren, die Eibwagen für die Wildensteiner Herren mit ihren schweren Lasten von Postel-witz aus durch das unwirtliche Schrammsteingebiet zur Burg über der Kuhstallhöhle schaukeln mußten. Eine Verbindung von Burg zu Burg bestand in ältester Zeit auch zwischen dem Wildenstein und dem Winterstein, der zwar nicht als Vorposten der Wildensteiner Berken anzusprechen war, vielmehr bereits im 14. Jahrhundert bestanden hatte, als von dem "slos Wildenstein" überhaupt noch keine Rede war. Späterhin dürfte es aber auch hier zwischen den benachbarten Strauchrittern Bande der Freundschaft gegeben haben, und wenn man sich zu besuchen pflegte oder Botschaften zu überbringen hatte, dann benutzte man einen Weg, der etwa 400 Meter östlich des heutigen Fremdenweges durch den "willensteiner waldt" (Wildensteiner Wald) führte, noch heute erkennbar ist und kurz vor der Kreuzung mit der Dietrichsgrundstraße sich mit jenem vereinigt, über den Sandhübel ging es hinab zu den Queenwiesen und durch den oberen Teil des Kleinen Zschand zur Knorre. Bei der Einmündung der Buchschlüchte ist seitlich des heutigen Knüppelweges noch ein alter Hohlweg durch eine kleine Schlucht erkennbar, ebenso auch das letzte Stück des einstigen Weges, der sich um die Nord-und Ostseite des Wintersteins herumwand und heute im anstehenden Fels am Boden alte Fahrgeleise aufweist, die aber sicherlich erst aus späterer Zeit stammen.

Merkwürdigerweise findet sich auf Matthias Oeders Karte auch schon ein Weg durch den Queengrund, der als der "grundt steigk in der quena" bezeichnet wurde und den Aufstieg durch die gewaltigen Nordabstürze des Winterbergmassivs nicht scheute, um beim Katzenstein den Anschluß an den Roßsteig zu gewinnen. Es ist der gleiche blau markierte Wanderweg, der heute, von Sebnitz kommend, zwischen Heringstein und Bärenhorn durch das Heringsloch klettert, das übrigens auf alten Karten "Geleitsmanns Loch" genannt wird. Wenn man bei der Deutung dieses Namens von mittelhochdeutsch "geleiten" (= schützend begleiten) ausgeht, lüftet sich auch hier der Schleier eines uralten Geheimnisses. Die Queene erweist sich kulturgeschichtlich außerordentlich interessant. Während im Anfang des 18. Jahrhunderts, der Zeit des "Goldfiebers", hier gewichtsschwere Körner, vermutlich von Magneteisensand, entdeckt wurden, die Veranlassung gaben zu vergeblichen Versuchen auf Goldbergbau durch eine in Dresden gegründete " Gewerkschaft derer Granaten Bergwercke auf denen Hohnsteinschen Amts Reneren", sind allemAnschein nach im 15. Jahrhundert die Spießgesellen der berüchtigten Wartenberger auf Tetschen über den Großen Winterberg und durch die Queene herabgestiegen, wenn sie mit den Berken von der Duba gemeinsame Raubzüge unternehmen wollten. Den gleichen Weg mögen sie auch, schwer beladen mit kostbarer Beute, zahlreiche Gefangene mit sich führend und "geleitet" von den Knechten der Wildensteiner, bei ihrer Rückkehr verfolgt haben. Wie mag ihnen da wiederum das köstliche Naß des Winterbörnels, das im oberen Teil des heutigen Heringsloches der Erde entquillt, gemundet haben!

Auch eine Querverbindung von Nordwesten nach Südosten verdient in diesem Zusammenhang genannt zu werden, die an dem zuerst erwähnten Vorderen Hai-deweg begann, durch die Hölle zum Massiv der Affen-steine emporführte, auf dem schmalen Felskamm zwischen Carolafelsen und Kleinem Winterberg hinüberleitete zur sogenannten Wurzel und am Nordostabhang des Großen Winterberges entlang, den soeben skizzierten Weg aus der Queene aufnehmend, zum Katzenstein und damit zum uralten Roßsteig brachte. Es ist der Reitsteig, auf alten Karten auch als Reiteroder Reutersteig bezeichnet. Bei Matthias Oeder wird er der "wilster steig" (vermutlich aus Wildensteiner Steig verstümmelt) genannt und merkwürdigerweise mit einem Anker (<!>) als Wegzeichen versehen Nach neueren Forschungen (Oskar Pusch, Dresden) führten alle "Ankerwege" einst zu Befestigungen, bei denen hier in erster Linie zu denken gewesen wäre an den Frienstein mit seiner ausgedehnten Felsgrotte, von der aus den Herren auf dem Wildenstein die nötigen Feuer-, Rauch- oder Lichtzeichen gegeben wurden, vielleicht aber auch an die Schrammsteine, die möglicherweise einstmals ebenfalls befestigt waren, zumal sie als der "Schramenstevn" bei der Übergabe der Herrschaft Wildenstein an Sachsen mit unter die abzutretenden "sloss vnd weide" gezählt wurden. Sehr wahrscheinlich haben wir in dem Wegedreieck Wildenstein — Haideweg — Hölle — Reitsteig — Katzenstein — Geleitmanns Loch — Queene — Wildenstein auch einen viel begangenen Patrouillenweg aus der Raubritterzeit vor uns, von dessen höchstgelegenen Punkten weite Schau ins Land ringsumher gehalten werden konnte.

Der schon mehrfach genannte Roßsteig ist ein uralter Übergang von Böhmen nach Sachsen, der schon im 15. Jahrhundert viel benutzt wurde, auch durch Fahrzeuge. Er begann in Herrnskretschen, das damals Hornsesskretczschin hieß, und erreichte bei den obersten Kehren der heutigen Neuen Straße, südöstlich des Großen Winterberges, das seit 1492 sächsische Gebiet. Bis zum Katzenstein trägt er gegenwärtig die Bezeichnungen Müllerwiesen-, Fremden- und Katzensteinweg; im weiteren Verlauf ist er noch heute als Roßsteig bekannt und wird als Verbindung zwischen Großem Winterberg und Zeughaus oft begangen. Auf der Oederschen Karte zeigt sich auch bei ihm ein altes Wegezeichen (Z), das an die ältesten Wege in der Dresdner Heide, an Rennsteig, Diebsteig und Schwesterweg erinnert. Zu einer Zeit, als das Zeughaus noch nicht bestand, ging der Roßsteig "vom großen winterberg hinabe biss zu dem teiche In dem Zcen", einem kleinen Weiher im Großen Zschand, der dem Teichstein den Namen gegeben hat und von dem nur noch ein Stück Dammkrone erkennbar ist, um dann als "sawpersstorffer steig" (Saupsdorfer Steig) in gleicher Richtung im Zuge des heutigen Dreisteigenweges zum Kirnitzschtal, zu den Pohls-hörnern, durch den Hirschewald nach dem Saupsdorfer Räumicht und nach Saupsdorf, ja sogar am Wachberg vorbei, nach Nixdorf zu führen.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte im 15. Jahrhundert in der Nachbarschaft des Wildensteins auch der Arnstein. Er gehörte, nach den vielen Spuren einstigen Bewohntseins, seinen Felsengemächern, die z. T. als Burgverlies gedient haben, seiner Zisterne und den Balkenlagern für einen ehemaligen Bergfried zu urteilen, zu den ansehnlichsten Burgstätten der Hinteren Sächsischen Schweiz. Er lag zwar im Gebiet der Wildensteiner Herrschaft, befand sich aber wahrscheinlich lange Zeit im Pfandbesitz der schon mehrfach genannten Wartenberger auf Tet-schen. Vom Wildenstein führte einst der sogenannte Haussteig, dessen Abstieg in den Kleinen Zschand heute kaum mehr benutzt, sondern durch die Ferkel-schlüchte umgangen wird, in östlicher Richtung zu den Mühlen im Kirnitzschtal, und gegenüber der Buschmühle findet sich noch immer der "Reitsteig", der über der Talschlucht des Ottendorfer Dorfbaches um die Westseite des Arnsteins herumführt und von Norden her den Gipfel erreicht. Wenn die Herren vom Arnstein aber zu ihrer Stammburg Tetschen bzw. zu der ebenfalls in ihrem Besitz befindlichen Burg Schauenstein, dem sogenannten Hohenleipaer Raubschloß, wollten, pflegten sie bei der Mühle, die zu ihrem Versorgungsbereich gehörte, den Kirnitzschbach zu überschreiten und benutzten einen Schleichpfad, der im allgemeinen in südöstlicher Richtung, genau besehen aber in zahllosen Windungen über den unwegsamen Kirnitzschtale dahinführte. Dieser Weg, den uns Matthias Oeders Zeichnerhand ebenfalls getreulich übermittelt hat, läßt sich zwischen der Nordecke des Heulenberges und der Südspitze des Schäfersteins im Zuge des Flügels E erkennen, führt nach Kreuzung mit dem alten Saupsdorfer Steig (dem heutigen Dreistei-genweg) zum heutigen Saupsdorfer Weg und Bußbergweg, erreicht schließlich den Vorderen Thorwald, verliert sich im Bereiche des Förstersteins fast gänzlich, klettert vom Hinteren Thorwald zum letzten Male empor zum Matthiasberg und vereinigt sich nach jähem Abstieg, angesichts der imposanten Buchenkuppel des Raumberges, der einst ebenso wie der Heulenberg am Beginn des Weges eine bescheidene Burgwarte getragen haben muß, mit dem Stimmersdorfer Steig.

Der Stimmersdorfer Steig stellt sich wiederum als ein uralter Übergang von Böhmen nach Sachsen dar und stammt aus einer Zeit, als das gesamte Gebiet noch den Lehnsmännern des böhmischen Königs zu eigen war. Er diente einst als Verbindung zwischen Stimmersdorf und Hinterhermsdorf, erreicht heute unweit des Altarsteins deutschen Boden, überschreitet nördlich des Raumberges die Kirnitzsch und klettert durch das Lindigtgründel zu den waldigen Höhen über Hinterhermsdorf hinauf. Hier trägt auf alten Karten ein Wegstück noch die Bezeichnung "die Königswürde", die an sich zwar unerklärlich bleibt, aber doch ähnlich wie Königstein, Königsnase, Königswald (Basteiwald), Königsweg (über dem Gottleubatal), Königsbrück usw., an die Zeit der böhmischen Könige erinnert.

Zum Schluß sei noch eines Weges gedacht, der, vom kulturgeschichtlichen Standpunkt aus gesehen, von besonderer Bedeutung gewesen ist, des Grenzsteiges zwischen Schmilka und dem oberen Kirnitzschtale. Als am 23. Januar 1492 in diesem Abschnitt der Hinteren Sächsischen Schweiz die sächsisch-böhmische Grenze endgültig festgelegt wurde, war eine peinlich genaue Grenzbegehung vorausgegangen. Bei dieser Gelegenheit wurden von berufener Hand "zceichentliche crewtz (Kreuze) in steyne und bevme gehawen" und ein sorgfältiges Protokoll angefertigt. Wenn heute ein Wanderer diesen Grenzsteig benutzt, dessen Fels- und Waldwildnis stellenweise geradezu erdrückend wirkt, der anderswo aber wieder beglückende Ausblicke ins Böhmerland bietet, wird er kaum für möglich halten, daß sich von diesen in den Fels gehauenen Kreuzzeichen noch eine ganze Anzahl über 460 Jahre hinweg bis auf unsere Zeit erhalten hat. Und doch ist dies der Fall, so z. B. südlich der Richterschlüchte bei den heutigen Grenzsteinen 9|19, 9|21 und 9|22, im sogenannten Raingrund, westlich des Großen Zschand, bei 7|5, 7|7, 7|12 und besonders bei 7|22, einer mit Doppelkreuz bezeichneten Stelle, die sogar in jenem Protokoll von 1492 als solche genannt wurde, indem es dort hieß: "ffort von dannen yn einen grünt, in dem anfange des grunndes sein zwei crewtz inn einen stein gehawnn", schließlich auch noch im Großen Ziegengrund. Im Gegensatz zu den geheimnisvollen Kreuzen, Buchstaben, angeblichen Weihe- und Gebückzeichen, die sich an fast allen Raubschlössern der Sächsischen Schweiz finden, wissen wir also hier ge-nauestens, wann und zu welchem Zweck diese Einmeiselungen erfolgt sind, und so dürften diese zu den ältesten geschichtlichen Erinnerungen unserer schönen Felsenheimat gerechnet werden.

Der Grenzsteig hatte anscheinend in seinen höchstgelegenen Teilen, zwischen dem Großen Winterberg und den Partschenhörnern, bereits den Wildensteinern zu militärischen Zwecken gedient, bestand doch beim Übergang aus den Weberschlüchten zum Prebischtor, am sogenannten Eichberg, eine kleine Burgwarte, von der heute noch, allerdings auf tschechischem Boden, Graben und Zisterne zu sehen sind. Wenn weiterhin in diesem Raum eine Felsenschlucht, der "Jortan", ein Felsenhorn, das "Jortanshorn", und eine schroffe Talwand über den Schwarzen Schluchten die "Jordane" heißen — es handelt sich hier um slawisches Sprachgut, das soviel wie Platz zum Schreien und Alarmschlagen bedeutet —, dann läßt sich ermessen, daß in dieser Weltabgeschiedenheit vor Jahrhunderten regeres Leben geherrscht hat als heute, wo nur die Berg steiger die Weberschlüchte und Partschenhörner wegen ihrer lohnenden Kletterziele aufsuchen.

Unsere kulturgeschichtlichen Streifzüge durch die Hintere Sächsische Schweiz sollen abgeschlossen werden mit einem Hinweis darauf, wie sich im Laufe der Jahrhunderte aus den immerhin noch wenigen Wegen und Steigen des ausgehenden Mittelalters, die vor allem militärischen und wirtschaftlichen Zwecken dienten, das ausgedehnte Wegenetz der heutigen Zeit entwickelt hat. Als mit dem Unschädlichmachen der Raubnester und der politischen Säuberungsaktion der meißnisch-sächsischen Fürsten einigermaßen Ruhe im Grenzland eingetreten war und die großen erkauften Bergwälder nur noch nach dem Wert ihrer Wildbahn und ihres Holzreichtums beurteilt wurden, entstanden zahlreiche Pirschwege zum Zwecke der Hofjagden und vor allem ungezählte Holzabfuhrwege. Viel trug hierzu die kurfürstliche Holzflößerei bei, die im 16. Jahrhundert auf der Kirnitzsch und anschließend auf der Elbe eingerichtet wurde, die die Möglichkeit bot, das Holz bis Torgau, Magdeburg und Hamburg zu flößen, um einen großen Gewinn für die kurfürstliche Kasse herauszuwirtschaften. Als um die Wende des 18. Jahrhunderts der Reiseverkehr nach der Sächsischen Schweiz einsetzte, entstanden die ersten Fremdenwege, die noch heute den allzu bekannten Massenauftrieb aufzuweisen haben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber bemühten sich Gebirgsvereine und Forstverwaltungen, durch Schaffung neuer, schöner Wanderwege, den Touristenverkehr in immer neue Bahnen zu leiten. Und unser Jahrhundert vollendete dieses Werk, indem ein Netz von farbigen Wegemarkierungen angelegt wurde, das für die übrigen deutschen Mittelgebirge geradezu zum Vorbild wurde.